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Peter Hauenschild - Kaffeegasse

2023

Ausstellungskonzept:

Gestaltung
Peter Hauenschild

Inhalt
Peter Hauenschild (Bilder, Buch)

Umsetzung
Peter Hauenschild, Norbert Dietler, Brigitta Schmidt-Lauber

Zur Ausstellung

Peter Hauenschild lebt und arbeitet in Wien und Mitterretzbach, im nordwestlichen Weinviertel. Erst kürzlich bezog er dort ein Haus in der Kaffeegasse. Den Umbau (2019-2021) dokumentierte der Grafiker und Medienkünstler durch fast 200 fortlaufend angefertigte Zeichnungen in einer Art Bildtagebuch. Ergänzt mit literarischen Skizzen der Journalistin Mia Eidlhuber, die ebenfalls am Land – nicht weit entfernt von Peter – einen Zweitwohnsitz hat und zu ihren (Wochenend-)Besuchen Tagebucheinträge verfasst, erschien 2023 in der Literaturedition Niederösterreich das Buch „Kaffeegasse“. Es vermittelt einen sprachlich und bildlich plastischen, atmosphärisch dichten Eindruck sozialer und materieller Transformationsprozesse: der Bauarbeiten am 200 Jahre alten Lehmhaus, der gerade in dieser Region spürbaren Suche von Städter:innen nach dem „guten Leben auf dem Land“ und des Sich-Einrichtens der „Zuagroasten“ in neuer Nachbarschaft.

Mit der gleichnamigen Ausstellung „Kaffeegasse“ im SchauFenster in der parallel gelegenen Waldstraße 24 präsentiert Peter Hauenschild erstmals öffentlich zugänglich seine Zeichnungen, nachdem das Buch bereits am 24.9.2023 im Krinzinger Lesehaus (Hadres) vorgestellt wurde. Die Geschichte des Hausumbaus und der sukzessiven Aneignung wird in einer Auswahl aus jeweils neun Zeichnungen sonntags wechselnd nacherzählt. Beginnend mit den Adventsonntagen gestaltet sich die Ausstellung somit auch als eine Art Kunst(advent)kalender.

Brigitta Schmidt-Lauber

Vorwort aus dem Buch „Kaffeegasse“

Auf einer Wiese hinter der Häuserzeile in der Kaffeegasse befindet sich ein Loch im Boden. Der Planer unseres Hauses Andi Breuss hat die Grube ausgehoben. Sie ist vier Meter tief und hat einen Durchmesser von acht Metern. Daneben ragt der Aushub als Hügel empor. Ein kleiner Berg aus ockerfarbener Erde. Es ist ein Lehmhügel. Grundmaterial für die 200 Jahre alten Gebäude in unserer Gasse. 

Da ich in meinem Leben viel Zeit am Land verbracht habe, entstand vor einigen Jahren der Wunsch nach einem Haus im Grünen. Rund um unseren Lebensmittelpunkt Wien begannen meine Frau und ich uns für Gegenden und Landschaften zu interessieren.

Öffentliche Verkehrsanbindung, Lage und Nähe zu Wien waren als Kriterien angesagt. Durch Freunde verlagerte sich die Suche immer mehr ins nördliche Weinviertel um Retz. Nach etwa 18 Monaten Suche wurden wir fündig.

Plötzlich stand es da; ein fast 200-jähriges Lehmhaus am Ortsrand von Retzbach. Von Lehm hatten wir zwar keine Ahnung, trotzdem wurde gekauft, die Lage war entscheidend. Dass Lehm ein fantastischer Baustoff mit jahrtausendalter Geschichte ist, wurde uns durch den Lehmspezialisten Andi Breuss nahegebracht. Die Häuserzeile, in die der Bau integriert ist, besteht aus Streckhöfen und ist aus dem Lehm, der direkt hinter den Häusern gewonnen wurde, gebaut. Was für eine schöne Vorstellung, fast wie im Sandkasten. Lehm hat viele positive Eigenschaften, ist kostengünstig, umweltfreundlich, jederzeit einfach zu reparieren und erzeugt ein tolles Raumklima.

Nach einer längeren Planung, zu der viele Zeichnungen entstanden, wurde dann endlich renoviert, erweitert und gebaut. Diesen Prozess begann ich sehr bald zeichnerisch zu dokumentieren. Es ist die Baugeschichte unseres Hauses, die sich nun in diesem Buch abbildet, mit Texten und Tagebucheinträgen von Mia Eidlhuber, die mit ihrem Partner ebenfalls ein Haus im Weinviertel renoviert hat.

Vom Abriss bis zum Neubau, eine gezeichnete Geschichte zu Erhalt, Ergänzung und Transformation eines fast 200 Jahre alten Lehmhauses. Es atmet.

Peter Hauenschild

Quelle: Peter Hauenschild / Mia Eidlhuber: Kaffeegasse. St. Pölten 2023, S. 6

Ausschnitte aus „Was es bedeutet, sich als Städter aufs Land zu verpflanzen“

Möglichkeiten für Freiraum

Draußen am Land haben wir uns bei einer Veranstaltung kennengelernt. Das ist noch nicht lange her. Wir sind beide zu späten Weinviertelbewohnern, Zweitwohnsitzsitzern, geworden, nicht weit voneinander entfernt. Das Thema „Haus am Land“ verbindet uns, die Tatsache, dass wir aus dem Mühlviertel kommen und jetzt im Weinviertel sind. Auch bei mir gab es immer ein Haus am Land, das Gasthaus, in dem ich aufgewachsen bin, später das Wochenendhaus meiner Mutter, das zum Zuhause im Salzkammergut wurde, jetzt ein umgebautes Kellergassenhaus in Immendorf.

Noch bevor ich im Haus am Land auf Besuch bin, es zum ersten Mal sehe, sehe ich Hauenschilds Zeichnungen in seinem Wiener Atelier. Der Stapel liegt gleich neben den Boxen mit den Stummeln und Spitzern. Sein Projekt hat als reine Baudokumentation begonnen, dann eine Eigendynamik entwickelt. Entstanden sind die Zeichnungen überall, im Weinviertel, in Wien und auf Reisen. „Ein Ort, wo es nichts zu zeichnen gibt, ist keiner.“ Das ist ein Satz von Peter Handke. Ich habe ihn in seinem Buch „Innere Dialoge an den Rändern 2016–2021“ entdeckt und ihn in mein Notizbuch geschrieben.


Zwischen Wien und Weinviertel

Von Immendorf bis Mitterretzbach braucht es zwanzig Minuten, mit dem Auto. Am Land fahren fast alle mit dem Auto. Von der Stadt aufs Land hinaus leider auch. Fahrt ihr raus? So fragen wir einander. Seid ihr draußen? So lautet die Frage an Menschen mit Haus am Land. Ja, sind wir, meist übers Wochenende, in Ferienzeiten auch länger. Dieses Rausfahren ist Teil einer routinierten Pendelbewegung zwischen Stadt und Land – in unserem Fall zwischen Wien und Weinviertel. Hinten im Auto steht schon der Korb mit Lebensmitteln, die angefangene Butter, Salat, Käse, ein angebrochenes Glas Tomatensauce oder Brot, das noch da war, auch weitere Taschen mit Zeugs, das mitmuss, Bettwäsche, das neue Buch, frische Handtücher, Zeitungen, der Laptop, neue Auflagen für die Gartenstühle.


Kunstschaffenden-Konzentration

Als ich zum ersten Mal in Mitterretzbach bin, öffnet Peter das Holztor, das mit grüner Farbe gestrichen wurde, die schon wieder leicht abblättert. Es liegt Schnee, der im Weinviertel kaum je liegen bleibt. Die gesamte Szenerie in Schwarz-Weiß, Gebäude, Garten, dahinter die Felder, alles wie auf Zeichnungen von Peter Hauenschild. Die meisten Menschen, die ein Haus am Land für sich gefunden haben, haben lange gesucht, sich viel angeschaut. Peter ist in seinem Leben zwischen unterschiedlichen Orten gependelt. Irgendwann war klar, so ein Haus am Land darf nicht weit weg von Wien sein, Fahrzeit maximal eine Stunde, mit einer öffentlichen Anbindung, zumindest in der Nähe. Irgendwann stand fest, es wird das Weinviertel werden. Da gab es Freunde und Künstlermenschen, die schon hier waren. Kunstschaffenden-Konzentration, so sagt es Peter. Die Pandemie hat den Sog aufs Land noch einmal verstärkt, das Weinviertel ist etwas Naheliegendes.


Mit dem Haus reden

Das Haus in der Kaffeegasse steht seit knapp zweihundert Jahren da, es ist unaufdringlich und zurückhaltend, es strahlt eine große Ruhe aus. Lieblingsplätze in so einem Haus sind Zeiten und Jahreszeiten unterworfen. Peter sitzt gern auf der Hausbank, die am Nachmittag ein, zwei Stunden von der Sonne gestreift wird. Mit Freunden sitzen sie viel im überdachten Haus mit den offenen Wänden, gleich im Anschluss an den Holzglasbau. Da ist es schön schattig, wenn es heiß ist, und trocken, wenn es draußen regnet, was nicht oft vorkommt. Auf einem Holzpodest hinten bei der alten Scheune steht eine Badewanne, die rausgerissen wurde, in der man sich bei Hitze herrlich abkühlen kann.


„Ein Haus am Land schließt manches aus: Lärm und Alltagsstress und das Krisenhafte unserer Zeit.“

Peter erzählt gern über das Haus. Er redet auch mit dem Haus, schaut es an, zeichnet es und begreift sich hier als Teil eines Ganzen: Wie viele Menschen haben hier gelebt? Was hat das Haus alles gesehen, gehört, erlebt? Wer ist hier zusammengesessen, so wie wir heute? Gelebtes, Gespräche, Gerüche, Gebeine. Alles manifestiert sich. Die Frau, die ihnen das Haus verkauft hat, stammt aus einer Musikerfamilie. Sie hat sich mit mittelalterlichen Chorälen befasst und im Haus zwei Tonträger aufgenommen. Auch das ist eine schöne Vorstellung. Vor ihr lebte ein Lautenbauer im Haus und hatte hier seine Werkstatt.

Es ist das letzte Haus von insgesamt neun ähnlichen Häusern, Peter nennt sie Langhäuser, der professionelle Ausdruck ist Streckhäuser, erklärt der Planer. Peter zoomt sie auf Google Earth näher. Von oben sieht man die sich durchziehende Struktur: Haus, Hof, Haus, Hof, Haus, Hof und so weiter.“

Mia Eidlhuber

Quelle: Mia Eidlhuber: Was es bedeutet, sich als Städter aufs Land zu verpflanzen. Der Standard online (16.09.2023). 
https://www.derstandard.de/consent/tcf/story/3000000187043/was-es-bedeutet-sich-als-staedter-aufs-land-zu-verpflanzen 
[Zugriff: 28.11.2023]

Peter Hauenschild

Geboren 1.12.1958 in Linz (Österreich)
1982-1987 Studium Visuelle Gestaltung bei Prof. Laurids Ortner, Hochschule für künstlerische und industrielle Gestaltung, Linz. 1988-2004 Mitarbeit in der Stadtwerkstatt.
Seit 1989 Zeichnungsprojekt Hauenschild Ritter
Seit 2005 Lehrbeauftragter am Institut für Medien, Abteilung Grafikdesign und Fotografie, Kunstuniversität Linz.
Arbeitsschwerpunkte: Zeichnung, Kunst im öffentlichen Raum, Computeranimation

Mia Eidlhuber

Geboren 1971, aufgewachsen im Mühlviertel, studierte Publizistik und Politikwissenschaften an der Universität Wien.
Danach schrieb sie unter anderem für „Profil“ und „Die Zeit“ in Berlin.
Seit 2004 arbeitet Eidlhuber für die Tageszeitung „Der Standard“ und leitet dort seit 2016 die Literaturbeilage „ALBUM“.
Seit mehr als zehn Jahren pendelt sie zusammen mit ihrem Mann zwischen Wien und dem Weinviertel.